Stellen Sie sich vor, Sie leiden seit Monaten oder sogar Jahren unter wiederkehrenden Beschwerden: diffuse Kopfschmerzen, Gesichtsschmerzen ohne erkennbaren Auslöser, chronische Müdigkeit oder immer wiederkehrende Infekte. Ärztliche Untersuchungen liefern keine eindeutigen Ergebnisse, Blutwerte sind unauffällig, und Medikamente helfen nur kurzfristig. Viele Betroffene fühlen sich unverstanden und suchen nach Antworten, wenn herkömmliche Diagnosen nicht weiterführen.
Eine mögliche, in der Zahnmedizin kontrovers diskutierte Erklärung ist ein Krankheitsbild, das teils als NICO (Neuralgia-Inducing Cavitational Osteonecrosis), FDOK oder umgangssprachlich „Kieferostitis“ bezeichnet wird.
Was ist NICO?
NICO beschreibt chronische Veränderungen im Kieferknochen, die häufig keine typischen Schmerzen verursachen und daher unbemerkt bleiben können. In betroffenen Bereichen wird mitunter statt gesunden Knochenstrukturen fettig degeneriertes Gewebe beschrieben; Befunde werden als „stille Entzündung“ eingeordnet.
Solche Veränderungen werden häufig an ehemaligen Extraktionsstellen beobachtet, etwa nach Weisheitszahn- oder Backenzahnentfernungen. Klassische Entzündungszeichen wie Rötung oder Schwellung fehlen oft.
Wichtig: Die Existenz, Häufigkeit und klinische Bedeutung von NICO werden unterschiedlich bewertet. Der Begriff ist nicht einheitlich definiert, und die Datenlage gilt als uneinheitlich.
Warum bleibt NICO oft unerkannt?
Während Vertreterinnen und Vertreter einer ganzheitlichen Zahnmedizin NICO als mögliche Mitursache verschiedener Beschwerden diskutieren, bezweifeln andere Fachleute den klinischen Stellenwert. Hinzu kommt, dass konventionelle Röntgenaufnahmen Veränderungen nicht zuverlässig abbilden können, sodass Befunde übersehen werden könnten.
Mögliche Beschwerden und Zusammenhänge
Berichtet werden u. a.:
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Gesichtsschmerzen oder Druckgefühle ohne erkennbare Ursache
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Neuralgiforme Schmerzattacken oder Taubheitsgefühle
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Chronische Müdigkeit und Erschöpfung
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Häufige Infekte bzw. der Eindruck eines geschwächten Immunsystems
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Schwer behandelbare Autoimmun- oder Stoffwechselprobleme
Diese Symptome sind unspezifisch und können zahlreiche Ursachen haben. NICO ist nur eine von mehreren möglichen Erklärungen und sollte nicht vorschnell als Hauptursache angenommen werden.
Wie könnte NICO entstehen?
Diskutiert wird, dass es in Einzelfällen nach Zahnentfernungen zu unvollständiger Knochenheilung kommt. Mögliche Risikofaktoren wie eingeschränkte Durchblutung, Nährstoffmängel (z. B. Vitamin D, Zink, Magnesium) oder Nachbarinfektionen könnten den Prozess begünstigen. Ein kausaler Zusammenhang ist damit nicht bewiesen.
Diagnostik: Wenn Röntgen nicht reicht
Da klassische Röntgenbilder Veränderungen nicht stets zeigen, werden teilweise ergänzende Verfahren eingesetzt:
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Digitale Volumentomographie (DVT): Liefert 3D-Aufnahmen, kann Hinweise auf Knochendichteveränderungen geben.
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Ultraschallverfahren (z. B. CaviTAU): Strahlungsfreie Methode zur orientierenden Beurteilung; die Aussagekraft wird weiterhin unterschiedlich eingeschätzt.
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Laborparameter: Entzündungsmarker (z. B. Chemokine wie RANTES) können unspezifische Hinweise liefern, sind allein nicht aussagekräftig.
Eine sorgfältige Anamnese, ggf. mehrere bildgebende Verfahren und eine kritische Gesamtabwägung sind entscheidend. Die Diagnose sollte interdisziplinär und individuell gestellt werden.
Therapieansätze
Wenn der Verdacht auf NICO plausibel ist und andere Ursachen ausreichend geprüft wurden, wird in einigen Praxen ein minimalinvasiver chirurgischer Eingriff in Erwägung gezogen:
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Eröffnung des Bereichs unter örtlicher Betäubung
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Entfernung von auffälligem Gewebe
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Desinfektion, teils mit Ozon oder vergleichbaren Methoden
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Unterstützung der Knochenheilung, z. B. PRF-Membranen (Eigenblut)
Begleitmaßnahmen wie Mikronährstoff-Substitution, entzündungsarme Ernährung und allgemeine Immunstärkung werden mancherorts empfohlen. Für Nutzen und geeignete Auswahl sollte eine individuelle Beratung erfolgen; belastbare Evidenz ist bisher begrenzt.
Hinweis: Ein Eingriff ist mit Risiken verbunden. Entscheidung und Timing sollten zurückhaltend und nach Zweitmeinung erfolgen.
Die Kontroverse verstehen
Erfahrungsberichte aus Praxen stehen einer noch ausbaufähigen Studienlage gegenüber. Groß angelegte, standardisierte Untersuchungen fehlen bislang weitgehend. Für Betroffene gilt daher: Behutsam vorgehen, Zweitmeinungen einholen und Erwartungen realistisch halten.
Wann es sinnvoll sein kann, aktiv zu werden
Bei anhaltenden Beschwerden ohne klare Ursache kann es hilfreich sein, folgende Punkte mit einer fachkundigen Praxis zu besprechen:
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Frühere Zahnentfernungen oder Kieferoperationen
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Chronische Erkrankungen, die schwer behandelbar erscheinen
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Schmerzen, Druck oder Taubheitsgefühle im Kieferbereich
Wichtig sind seriöse Diagnostik, transparente Aufklärung zu Nutzen/Risiken und eine kritische Bewertung von Therapieempfehlungen.
Fazit
NICO ist ein kontrovers diskutiertes Thema mit uneinheitlicher Evidenzlage. Wer betroffen ist, sollte sich umfassend informieren, Diagnosen kritisch hinterfragen und gegebenenfalls weitere Meinungen einholen. Ein individueller, evidenzbasierter Ansatz kann helfen, mögliche Ursachen chronischer Beschwerden besser einzuordnen – ohne unnötige Risiken einzugehen.
Disclaimer: Dieser Beitrag ersetzt keine medizinische Beratung. Entscheidungen zu Diagnostik und Therapie sollten immer gemeinsam mit qualifizierten Zahnärzt:innen/Ärzt:innen getroffen werden.